Statements

Statement und offener Brief an die Kulturstaatsministerin Prof. Monika Grütters zum Rettungs- und Zukunftsprogramm NEUSTART KULTUR

Sehr geehrte Kulturstaatsministerin Monika Grütters!

„Mit NEUSTART KULTUR hat die Bundesregierung im Sommer 2020 ein Rettungs- und Zukunftsprogramm in Höhe von einer Milliarde Euro aufgelegt, um den Kulturbetrieb und die kulturelle Infrastruktur dauerhaft zu erhalten. Nachdem die Mittel Ende 2020 bereits konkret belegt und damit weitgehend ausgeschöpft waren, (900 Millionen Euro in knapp 60 Teilprogrammen wurden bis Ende 2020 vergeben) hat die Bundesregierung Anfang Februar eine weitere Milliarde Euro für das Anschlussprogramm von NEUSTART KULTUR bereit gestellt.

Seit Juli 2020 wurden in enger Abstimmung mit den verschiedenen Dachverbänden aus Kultur und Medien Programme entwickelt und realisiert. Hinter den Teilprogrammen stehen knapp 60 einzelne Programmlinien, die auf die spezifischen Bedürfnisse von Künstlerinnen und Künstlern in den einzelnen Sparten von Kultur und Medien zielen.“ 1

Wir, das Netzwerk Freier Berliner Projekträume und -initiativen setzen uns für die Belange nicht-kommerzieller künstlerischer Projekträume ein. Wir waren hocherfreut über die Bereitstellung der Mittel, die mit NEUSTART KULTUR auch in die vielfältige freie Kunstszene fließen sollten. Gleichzeitig sind wir erschüttert, wie ungleich diese Mittel verteilt wurden und wie sehr die Programme aber auch die Vergabe teilweise an der Lebens- und Arbeitsrealität von bildenden Künstler:innen bzw. freien kunstvermittelnden Akteur:innen vorbei ging. Denn gerade diese Gruppe erreichte die Hilfe nur unzureichend.

Hier beziehen wir uns ausschließlich auf die Vergabe der Neustart Kultur Mittel durch die Stiftung Kunstfonds in Bonn, die diese Programme für die bildende Kunst erarbeitet, ausgeschrieben und unserer Meinung nach unzureichend vergeben hat.

Bei dem Projektfonds für kunstvermittelnde Akteure war es für die Antragsteller:innen nicht möglich ein eigenes Honorar einzurechnen. Zielgruppe der Ausschreibung waren explizit „Kunstvermittelnde Akteure wie Solo-Selbständige, Künstlerräume, Produzentengalerien, Kunstvereine, Projekträume.“ 2 Diese sind idR nicht strukturell gefördert, leben also von Projektförderung zu Projektförderung. Sie sind darauf angewiesen, sich, wie bei allen Förderungen üblich, ein eigenes Honorar für ihre erbrachte Arbeit, wie Recherche, Entwicklung, Organisation etc. einzurechnen. Auch war es nicht möglich eine Raummiete einzuplanen. Wie schon erwähnt, sind Projekträume idR nicht oder nur unzureichend strukturell gefördert. Auch freie Kurator:innen können sich einen kostenlosen Raum nicht einfach so aus dem Hut zaubern. Es ist unverständlich, warum diese Regeln bei der Vergabe durch die Stiftung Kunstfonds trotz mehrfacher Hinweise von verschiedenen Verbänden und Künstler:innen auf deren Unsinnigkeit und Fatalität, unbeirrt angewandt wurden. Dazu ist auch anzumerken, dass für die Stiftung Kunstfonds die Zielgruppen des Förderprogramms andere sind, als von der Staatsministerin für Kultur und Medien vorgesehen, nämlich: „Einrichtungen, Organisationen, Künstlergruppen, Kurator*innen, Kunstvereine, Museen u.ä.“ 3

Wir möchten an dieser Stelle auch auf die Pressemitteilung des bbk berlin vom 11.12.2020 hinweisen: Realitätsfern oder Kalkül? Zum Hilfspaket NEUSTART KULTUR

Unter anderem wird darin beanstandet, wie die Stiftung Kunstfonds auf Kritik an ihrer Vergabepolitik reagiert. Es wurde zu Recht bemängelt, dass bei der Stipendienvergabe nicht auf finanzielle Dringlichkeit der Bewerber:innen geachtet wurde, obwohl es sich bei den Hilfen um Corona-Hilfen handelt, die unsere Meinung nach bedarfsgerecht und nicht nur nach Exzellenzkriterien verteilt werden dürfen.

Stiftung Kunstfonds antwortete (im Ausschnitt) folgendermaßen:

„Förderungen der Stiftung Kunstfonds sind weder Sozialleistungen noch Wirtschaftsbeihilfen. …die Frage der Bedürftigkeit liegt vielmehr in der solidarischen Verantwortung der Bewerber*innen.“ 4

Hier wird die volle Verteilungsverantwortung auf die Bewerber:innen abgewälzt, wo man klare Kriterien hätte einführen müssen. Zum anderen betont die Stiftung Kunstfonds, dass deren Förderungen keine Wirtschaftsbeihilfen sind. Nun ist jedoch der größte Fördertopf, der von der Stiftung Kunstfonds vergeben wird, der für die kommerziellen Galerien. Geförderte Galerien durften und dürfen innerhalb dieses Förderprogramms kein Ausstellungshonorar für beteiligte Künstler:innen einrechnen. Der Topf kommt Künstler:innen also nur mangelhaft zugute. Dieses als Wirtschaftsbeihilfen für Galerien zu bezeichnende Sonderförderprogramm geht völlig an den Bedarfen der Künstler:innen vorbei und ist unseres Erachtens bei der Stiftung Kunstfonds falsch angesiedelt.

Positiv hervorzuheben ist die transparente Bereitstellung von Bewerberzahlen und Geförderten je Sonderförderprogramm der Stiftung Kunstfonds Bonn. Diese bildet allerdings eindeutig auch einige Fehlstellungen ab. Hier fällt auf, dass z.B. der Fördertopf für kommerzielle Galerien unverhältnismäßig größer zur Bewerberzahl ist. Dadurch kommt alleinig dieser Fördertopf auf eine Förderquote von 80,49% im Vergleich zu Förderquoten von: 11,38 %, 12,23%, 14,48% bei den anderen Fördertöpfen.

Stipendium für bildende Künstler*innen mit Kindern unter 7 Jahren
826 Anträge (497 w, 323 m, 6 d), 94 Förderungen (44 w, 47 m, 3 d)
1,1 Mio. €
Förderquote: 11,38%

Stipendium für bildende Künstler*innen
4752 Anträge (2590 w, 1957 m, 207 d), 581 Förderungen (293 w, 270 m, 18 d)
5,2 Mio. €
Förderquote 12,23 %

Projektförderung für kunstvermittelnde Akteure
1.202 Anträge, 174 Förderungen
3,1 Mio. €
Förderquote 14,48%

Projektförderung für Galerien
492 Anträge, 396 Förderungen
8,2 Mio. €
Förderquote : 80,49%

Wir sehen hier eine ungerechten Vorteil von kommerziellen Galerien gegenüber Künstler:innen und freien kunstvermittelnden Akteur:innen. Hinzu kommt noch, dass die Förderung von kommerziellen Galerien jetzt in die zweite Runde geht, erneut mit der gleichen unverhältnismäßig hohen Summe im Vergleich zum Bedarf.

Das Netzwerk Freier Berliner Projekträume und -initiativen fordert daher, dieses Programm umgehend zu stoppen und die Mittel bedarfsgerecht auf die einzelnen Förderprogramme zu verteilen, oder die anderen 3 Förderprogramme so aufzustocken, dass deren Förderquoten so hoch sind, wie bei der Projektförderung für Galerien. Zudem müssen beim Förderprogramm für kommerzielle Galerien Ausstellungshonorare für die bildenden Künstler*innen unbedingt abzurechnen sein. Weiterhin fordern wir, dass das Sonderförderprogramm für kunstvermittelnde Akteure mit Einbeziehung der Abrechnungsmöglichkeit von Eigenhonoraren und Raummieten angepasst und neu aufgelegt wird.

Projekträume sind gerade in Berlin ein wesentlicher und wichtiger Bestandteil der Kunstlandschaft. Das Netzwerk Freier Berliner Projekträume und -Initiativen vertritt in Berlin über 140 Projekträume und Projektinitiativen. Als ‚größtes Ausstellungshaus‘ der Stadt tragen Projekträume und Projektinitiativen, die überwiegend von Künstler:innen bzw. solo-selbständige Akteur:innen organisiert sind, zu einer vielfältigen Stadtstruktur bei. Sie sind als nicht-kommerzielle dezentrale Ausstellungsräume Präsentationsorte für unzählige Künstler:innen aller Altersstufen und sorgen mit ihrem kontinuierlichem Engagement für Diversität und nachhaltige Förderung von Künstler:innenbiographien.

Gerne möchten wir Ihnen unsere Expertise zur Verfügung stellen und bieten Ihnen an, in einer Videokonferenz unsere Forderungen und offenen Fragen zu besprechen.

Vielen Dank für Ihr Interesse. Wir freuen uns, von Ihnen zu hören.

Für das Netzwerk: Isolde Nagel, Carola Rümper und Stephan Klee (Vorstand des Netzwerks) sowie Christof Zwiener und Lisa Schorm (für die AG Politik des Netzwerks)

1 https://www.bundesregierung.de/breg-de/bundesregierung/staatsministerin-fuer-kultur-und-medien/neustart-kultur-startet-1841780 Meldung der Staatsministerin für Kultur und Medien, Rettungsprogramm wird verlängert – Milliardenhilfe für Kultur und Medien, 09.02.2021

2 https://www.bundesregierung.de/breg-de/bundesregierung/staatsministerin-fuer-kultur-und-medien/bildende-kunst-galerien-1774176 Aus Beschreibung des Programmes Projektförderung für Kunstvermittelnde Akteure auf der Seite der Staatsministerin für Kultur und Medien

3 https://www.kunstfonds.de/news/details/faqs-sonderfoerderprogramm-2021-neustart-kultur/ Was sind kunstvermittelnde Akteure? Wer kann einen Antrag stellen?

4 https://www.kunstfonds.de/news/details/aus-aktuellem-anlass/